8.10.2024

Never change a running system – vielleicht doch?

Veränderungsfähigkeit

Never change a running system – vielleicht doch?

von Dr. Bettina Bürkin

In der heutigen dynamischen Geschäftswelt ist Veränderungsfähigkeit eine der wichtigsten Kompetenzen eines Unternehmens. Wie geht man vor und wo setzt man an, um Veränderungsfähigkeit von Unternehmen zu stärken? Wann ist es sinnvoll, zu optimieren? Wann sollte eher Grundsätzliches hinterfragt werden?

Veränderungsfähigkeit als Kernkompetenz

Unsere Erfahrung zeigt, dass viele Entscheider:innen die Notwendigkeit erkannt haben, die Veränderungsfähigkeit ihres Unternehmens zu entwickeln. Und ihnen ist bewusst, dass sie dabei an verschiedenen Stellen im Unternehmen ansetzen müssen: etwa bei den Skills ihrer Mitarbeitenden, beispielsweise der Fähigkeit zur Selbststeuerung, um eigenverantwortlicher zu arbeiten (Schermuly/Meifert 2023). Teams brauchen moderne Führungsmodelle, um komplexe Aufgaben effizient zu bewältigen. Auch festgefahrene Prozesse und Strukturen sollen schneller angepasst werden. Diese Erkenntnisse sind wertvoll, führen jedoch oft dazu, dass Unternehmen nur punktuelle Optimierungen im bestehenden System vornehmen. Reicht das aus, um die Veränderungsfähigkeit insgesamt zu steigern?

Die Gefahr von punktuellen Veränderungen im System

„Never change a running system“ , so scheint es, ist häufig das Motto. Warum größere Veränderungen vornehmen, wenn die Prozesse einigermaßen gut funktionieren und die Zahlen stimmen? Dies ist eine nachvollziehbare Haltung, und es kann durchaus sinnvoll sein, etablierte Muster und Prozesse beizubehalten. Manchmal reichen punktuelle Justierungen, um kurzfristige Herausforderungen zu meistern.

Das Risiko dieser Herangehensweise liegt darin, dass Unternehmen Gefahr laufen, nur punktuell zu optimieren, ohne das System als Ganzes zu betrachten.

Veränderungen im System führen selten zu einer grundlegenden Transformation. Dies wird besonders deutlich, wenn ineffektive, häufig unbewusste Muster mittelfristig die Anpassungsfähigkeit des Unternehmens schwächen.

Veränderungen am System: Der Schlüssel zur Zukunftsfähigkeit

Um echte Veränderungsfähigkeit zu entwickeln, bedarf einer ganzheitlichen Arbeit am System. Das bedeutet, Routinen zu hinterfragen und tief verwurzelte Strukturen aufzubrechen – auch wenn die Zahlen derzeit gut sind. Um nachhaltige Veränderungen umzusetzen, müssen dysfunktionale Muster erkannt und beseitigt werden.

Eine Studie von Schermuly (2023) zeigt, dass viele Unternehmen zwar Maßnahmen zur Förderung der Selbstbestimmung ihrer Mitarbeitenden ergreifen, dies jedoch oft nicht mit einer Veränderung der zugrunde liegenden Machtstrukturen einhergeht. Während 72,6 Prozent der Unternehmen angaben, die Selbstbestimmung zu fördern, stärken nur 34,8 Prozent das Sinnerleben und lediglich 32,6 Prozent den Einfluss der Mitarbeitenden auf ihre Arbeit. Macht bleibt in alten Strukturen verhaftet, und die Wirkung der Maßnahmen verpufft. Das Ergebnis zeigt, dass eine ganzheitliche Befähigung der Mitarbeitenden (Stärkung der Selbstbestimmung in Verbindung mit Ausweitung des Einflusses, des Sinnerlebens sowie Stärkung von Kompetenzen) - also eine grundlegendere Veränderung am System, nämlich auch der Machtverteilung - mit einem signifikant stärkeren Erfolg der New Work Maßnahmen in der Organisation einher geht. Eine ganzheitliche Veränderung des Systems führt nachweislich zu einem stärkeren Erfolg von New-Work-Maßnahmen (Schermuly/Meifert 2023).

Was bedeutet es, am System zu arbeiten?

„Am System arbeiten“ bedeutet, das Unternehmen auf allen Ebenen zu betrachten: der Organisation, den Teams und den einzelnen Personen. Diese drei Ebenen agieren nicht isoliert, sondern sind miteinander vernetzt. Eine erfolgreiche Veränderung setzt voraus, dass die Beziehungen zwischen diesen Ebenen klar definiert und angepasst werden.

Für Management Partner beginnt die Arbeit am System damit, das Unternehmen in seinem Kern zu verstehen. Es geht darum, die DNA des Unternehmens zu erkennen: Was macht es aus? Welche Kernkompetenzen sind entscheidend?

Auf dieser Basis lassen sich zielgerichtete Maßnahmen entwickeln, die auf allen Ebenen wirken und aufeinander abgestimmt sind. Arbeit am System bedarf eines gezielten Vorgehens, und heißt nicht, Maßnahmen auf diesen drei Ebenen mit der Gießkanne zu verteilen.

Arbeit am System: 3 Ebenen

Wie stärken Unternehmen ihre Veränderungsfähigkeit?

Veränderungsfähigkeit entsteht, wenn sich das Unternehmen seiner Identität, seines Kerns bewusst ist. Denn weiß ein Unternehmen, wer es ist – dann lässt sich nicht nur seine strategische Richtung klarer ausrichten. Es lassen sich ebenso eine zielgerichtete, stimmige Lern- und Innovationskultur, Kompetenzen und Ressourcen, Strukturen und Prozesse aufeinander abstimmen. So entsteht eine authentische, für jedes Unternehmen einzigartige Form der Veränderungsfähigkeit.

Ein erster Schritt besteht darin, die Kernfragen des Unternehmens zu beantworten:

1.      Welches unternehmerische Anliegen Ziel verfolgt es und wie manifestiert sich dieses am Markt? Wie verändern sich Anforderungen des Marktes und der Kunden?

2.      Was macht seine Identität aus? Auf welche Historie, Eigenschaften und Mission kann es aufbauen? Was gibt Stabilität?

Sind diese Fragenkreise geklärt, lässt sich ein starker, klarer Leitstern definieren, der alle weiteren Schritte und Anpassungen im Unternehmen bestimmt. Dieser Leitstern gibt Orientierung, sowohl für die Unternehmensführung als auch für Teams und einzelne Mitarbeitende.

Das „Ping-Pong-Spiel“ der Veränderung

Veränderungen am System erfolgen immer im Wechselspiel zwischen Kultur und Organisation.

3.      Der dritte Schritt besteht darin, die wiederentdeckte bzw. geschärfte Identität mit dem unternehmerischen Anliegen zu verbinden.

Es ist ein Balanceakt, bei dem das Mindset, die Führungsphilosophie und die Innovationskultur ständig in Rückkopplung mit den strukturellen Anpassungen von Prozessen, Ressourcen und Kompetenzen stehen. Nur so kann die Veränderungsfähigkeit nachhaltig verankert werden.

In Bezug auf die Studienergebnisse von Schermuly bedeutet dies, sich -  ausgehend vom unternehmerischen Anliegen und der geschärften Identität -  mit der zum Unternehmen passenden Macht- und Führungsstruktur auseinanderzusetzen. Dazu gehört dann auch, sich ernsthaft zu fragen, ob der breite Grad an Selbstbestimmung, der (ggf.) nach außen propagiert wird, wirklich zum Unternehmen und seiner unternehmerischen Zielsetzung passt. Oder, genauer hinzuschauen, wo dieser im Unternehmen sinnvoll ist wo gegebenenfalls nicht. So gibt es Aufgaben und Bereiche, in der viel Freiheit und Flexibilität die Produktivität steigern. Gleichzeitig gibt es auch immer Bereiche, in denen eine (klassischere) Macht- und Aufgabenverteilung einfach notwendig sind. Beispielsweise in sicherheits- oder qualitätsrelevanten Bereichen. Soll Veränderungsfähigkeit also erfolgreich und nachhaltig im Unternehmen verankert werden, ist es für uns unerlässlich ein Unternehmenssystem grundsätzlich anzuschauen.  Erst wenn klar ist, worauf ein Unternehmen bauen kann, können die passenden Führungs- und Organisationsstrukturen gestaltet werden, die für genau dieses Unternehmen, sein Team und seine Individuen funktionieren. Erst dann entstehen nachhaltige Veränderungsfähigkeit und die Gewissheit, sich immer wieder neu orientieren und finden zu können. Und dabei muss nuanciert vorgegangen werden.

Prozess: Arbeit am System

Fazit: Never change a running system? Vielleicht doch!

Für Unternehmen, die ihre Veränderungsfähigkeit stärken wollen, führt kein Weg an der Arbeit am System vorbei. Der tiefgehende Blick auf das Gesamtsystem ist entscheidend, um zukunftsfähig zu bleiben. Der Satz „never change a running system“ hat seine Berechtigung – aber in der heutigen, sich ständig wandelnden Geschäftswelt müssen Unternehmen mutig genug sein, ihr System zu hinterfragen, um langfristig erfolgreich zu sein.

Lesen Sie weiter zum Thema Veränderungsfähigkeit:

Dr. Bettina Bürkin: "Veränderungsfähigkeit: Buzzword oder Kernkompetenz?"

Dr. Axel Weller: "Veränderungsfähigkeit von Unternehmen oder die Sache mit dem gordischen Knoten."

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Management Partner ist die richtige Beratung für alle, die sich anspruchsvolle Ziele setzen. Dabei entdecken wir Chancen, die versteckt geblieben sind, und Lösungen, die vorher nicht vorstellbar waren. Gemeinsam mit Ihnen gelingt es uns, Ihr Unternehmen spürbar — und messbar — zum Besseren zu verändern. Wir helfen, Ihre Veränderungsfähigkeit zu entwickeln — und zu behalten. Auch wenn unser Auftrag irgendwann endet — Ihre Veränderungsfähigkeit bleibt.

Keep the Change

(Schermuly, C., & Meifert, M. (2023). „Ergebnisbericht zum New Work-Barometer 2022“)