1.3.2024

Wie kommen wir aus dieser Sackgasse wieder heraus?

Veränderungsfähigkeit
Transformation

Wie kommen wir aus dieser Sackgasse wieder heraus?

von Ute Engel, Jana Braun Lambur

Wieso wird es im Zeitablauf zunehmend schwieriger, alte Handlungsmuster aufzugeben und Dinge auf eine neue Art und Weise anzupacken? Warum kann der Status Quo nicht überwunden werden? Weshalb kommt ein Unternehmen aus einer Sackgasse nicht heraus? Das Prinzip der Pfadabhängigkeit hilft an dieser Stelle: Wenn Entscheider ihre Organisation durch die Brille der Pfadabhängigkeit betrachten, können sie diese besser verstehen und verändern.

Das Pfadabhängigkeitskonzept wird häufig in der Politikwissenschaft verwendet, stammt jedoch ursprünglich aus der Ökonomie. Unter anderem befasste sich Douglass North, der ehemalige Wirtschaftsnobelpreisträger, damit.  Das Konzept besagt, dass Vorgänge in der Gestaltung von Unternehmen, Organisationen und Institutionen in Pfadabhängigkeiten eingebunden sind, die langfristige Wirkungen haben. Der bildhafte Ausdruck der Pfadabhängigkeit drückt aus, dass ein einmal eingeschlagener Pfad nur sehr schwer verlassen werden kann. Dadurch ist es schwierig, neues Wissen anzuwenden und zu verbreiten

Unverändert: Die Tastatur aus dem 19. Jahrhundert

Das vermutlich bekannteste Beispiel für Pfadabhängigkeit ist die QWERTY-Tastatur, deren Tastaturbelegung sich seit dem 19. Jahrhundert nicht geändert hat, obwohl es ergonomischere und effizientere Tastenordnungen gegeben hätte.

Der Grundgedanke der Pfadabhängigkeit findet sich auch in einem Koch- oder Backrezept wieder: Die Reihenfolge der Durchführung von Arbeitsschritten sowie die Abfolge der Zugaben von Zutaten haben einen erheblichen Einfluss auf das Ergebnis.

Weggabelungen mit Handlungsalternativen

Ausgangspunkt einer solchen Pfadabhängigkeit ist immer eine Weggabelung, an der es mindestens zwei Handlungsalternativen gibt. Das Unternehmen entscheidet sich für eine Variante und begibt sich damit auf einen Pfad. Im Zeitverlauf verfestigt sich dieser einmal eingeschlagene Pfad. Es wird immer unwahrscheinlicher zu einer der vorherigen Handlungsalternativen zurückzukehren. Sehr deutlich sieht man dies beispielsweise bei Softwareentscheidungen. Hat sich ein Unternehmen einmal für eine Softwarewelt entschieden, erscheint es unmöglich, diese Entscheidung zu revidieren. Schuld daran sind verschiedene Mechanismen.

Stabilisierung von Pfaden durch 4 Mechanismen

Funktionalistische Mechanismen sorgen dafür, dass es wechselseitige Abhängigkeiten in Unternehmen gibt. Ändert sich eine Komponente, so hat dies Rückwirkungen auf andere Organisationseinheiten. Durch diese Kopplung werden möglicherweise „Stakeholder“ mobilisiert. Arbeitnehmer aus einer Abteilung haben beispielsweise ein Interesse daran, dass in anderen Abteilungen keine Arbeitsplätze abgebaut werden. Dies hätte ggf. Rückwirkungen, etwa in Form von Mehrarbeit.

Utilitaristische Mechanismen entsprechen dem Kosten-Nutzen-Kalkül. Da die Einrichtung einer neuen Verfahrensweise hohe Kosten (z.B. im Sinne von Zeit oder Geld) verursacht, existiert ein Interesse, die bisherige Verfahrensweise aufrechtzuerhalten.
Darüber hinaus haben sich Mitarbeitende spezialisiert und starke kooperative Beziehungen entwickelt und der Preis, langwierig neue Routinen einzuüben und neue Beziehungen aufzubauen, erscheint zu hoch. Daher werden alte Lösungen eher wiederholt, auch wenn sie vielleicht nicht mehr zeitgemäß sind.

Machtbasierte Mechanismen wirken, wenn bestimmte Stakeholder ein Interesse am Erhalt des Status Quo haben. Eine Interessensgruppe profitiert, wenn das Handlungsmuster der Vergangenheit eng an deren Einflussmöglichkeiten geknüpft ist und ihre Machtposition stabilisiert oder stärkt. Personelle Umstrukturierungen werden beispielsweise abgelehnt, da damit etablierte Machtsphären für bestimmte Personen aufgebrochen werden. Gehen Umorganisationen oder neue Prozesse (etwa Unterschriftenregelungen) mit Machtverlust (sichtbar oder unsichtbar) einher, ist mit Widerstand oder kompensierendem Verhalten zu rechnen. Bei der Einführung der Videokonferenz-Tools konnte beispielsweise bei manchen macht- und statusbewussten Gruppen ein Unbehagen beobachtet werden, da nun jeder Teilnehmer einen gleich großen Platz am Bildschirm einnehmen konnte.

Durch legitimationsbasierte Mechanismen wird eine bisherige Verfahrensweise reproduziert, weil deren moralische Überlegenheit oder Angemessenheit behauptet wird. Hier spielen soziale Erwartungen, Verhaltensregeln und Handlungslogiken eine Rolle. Diese prägen die Auffassung davon, was die „beste Lösung“ ist. Beispielsweise kann in einem Unternehmen die Vorstellung vorherrschen, dass das aktuelle Key Account Management die beste aller Verfahrensweisen sei, weil man damit in der Vergangenheit sehr erfolgreich gewesen ist. Diese Auffassung verhindert dann Neuerungen.

Durch diese vier geschilderten Mechanismen wird der einmal eingeschlagene Pfad immer stabiler und es kommt zum Lock-In. Meistens wird dieser Prozess von der Organisation lange nicht bemerkt.

Wandel, Reformen und Small Events

Obwohl diese Mechanismen wirken, kann Wandel entstehen. Auch Reformen können durch das Pfadabhängigkeitskonzept erklärt werden. Tiefgreifendes Umdenken und Wandel kann etwa durch stark einschneidende Ereignisse ausgelöst werden, wie z.B. Umsatzeinbrüche oder revolutionären Technologien. Weitaus häufiger entsteht Wandel aber in Small Events entlang des eingeschlagenen Pfades. Die oben genannten Mechanismen wirken dann nicht mehr,.

  • wenn eine Organisationseinheit z.B. nicht mehr benötigt wird bzw. ihre Funktion verliert (funktionalistische Mechanismen)
  • wenn es zu Lernprozessen aufgrund von Leistungsdefiziten im Unternehmen kommt (utilitaristische Mechanismen)
  • wenn sich die Machtbalance im Unternehmen verändert oder Interessen modifiziert werden (machtbasierte Mechanismen)
  • wenn sich neue Ideallösungen durchsetzen (legitimationsbasierte Mechanismen).

Ein solcher Wandel mit kleinen Handlungsschritten hat den Vorteil, dass Etabliertes nicht grundsätzlich in Frage gestellt und ein gewisses Maß an Stabilität aufrechterhalten wird.

Rolle von Ideen oder Visionen

Ideen oder Visionen können eine große Rolle bei Wandel spielen, denn Leitideen verleihen den Interessen unterschiedlicher Stakeholder erst ihre Bedeutung. Um Folgebereitschaft zu erhalten, brauchen Unternehmen legitimatorische Leitideen. Ideen ermöglichen Optionen für Reformen. Sie zeigen Führungsprobleme auf. Sie können aber auch als Instrumente benutzt werden, um Störanfälligkeiten zu erzeugen. Stakeholder, die eine Reform erreichen wollen, führen neue Ideen und Visionen ein. Auf diese Weise kann das Verlangen nach Veränderung entstehen und Unterstützung mobilisiert werden.

Als Analysewerkzeug dient die Pfadabhängigkeit dazu, das Festhalten an alten Lösungen zu verstehen.

Sie möchten Ihr Unternehmen auch aus einer Sackgasse herausmanövrieren und alte eingetretene Pfade verlassen? Sprechen Sie uns einfach an: Ute Engel (uen@management-partner.com). Wir freuen uns!

Management Partner ist die richtige Beratung für alle, die sich anspruchsvolle Ziele setzen. Dabei entdecken wir Chancen, die versteckt geblieben sind, und Lösungen, die vorher nicht vorstellbar waren. Gemeinsam mit Ihnen gelingt es uns, Ihr Unternehmen spürbar — und messbar — zum Besseren zu verändern. Wir helfen, Ihre Veränderungsfähigkeit zu entwickeln — und zu behalten. Auch wenn unser Auftrag irgendwann endet — Ihre Veränderungsfähigkeit bleibt.

Keep the Change

In unseren anderen Blog-Artikeln beschäftigen wir uns u.a. mit Wachstum in reifen B2B-Märkten, Homeoffice und Case Study Market Share Increase – schauen Sie vorbei!

Wenn Ihr Interesse am Pfadabhängigkeitskonzept geweckt worden ist:

David, Paul A. (1984): Clio and the Economics of QWERTY. In: The American Economic Review, American Economic Association, 75 (2), 332-337.

Mahoney, James (2000): Path Dependence in Historical Sociology. In: Theory and Society, 29 (4), 507-548.P

North, Douglass C. (1990): Institutions, Institutional Change and Economic Performance. Cambridge University Press.

Schreyögg, Georg (2013): In der Sackgasse. Organisationale Pfadabhängigkeit und ihre Folgen. In: Organisationsentwicklung, 32 (1), 21-30.